Freitag, 15. Oktober 2010
3 Megabyte Klöten - Eine Kurzreview
Titel: 3 Megabyte Klöten.
Fotografie.

Was sehen wir? Der männliche Hoden als Ausdrucksform einer Sinnesrevolution, die sich dem Kundigen unter anderem in der barocken Heuchelei wiederspiegelt. Auch in der französischen Décadence oder auf dem Münchner Oktoberfest findet man Spuren dieses Symbols wieder.

Neu ist das nicht. Schon Moses wusste um das Geheimnis des brennenden Busches.

Betrachten wir also, ob sich der Künstler in diesem Fall um eine stilsichere Umsetzung bemüht hat. Wo in der Thematik Altbekanntes vorherrscht,
finden sich die Feinheiten oft im Detail, im sicheren Federschwung einer Ader beispielsweise, oder der liebevollen Ausleuchtung des dritten Ödems von links.

Wir müssen feststellen: Nein, der Künstler scheint sich in der Ausführung vor allem auf anatomische Details konzentriert und den ästhetischen Aspekt des männlichen Hodens fast völlig vernachlässigt zu haben. Wir möchten anmerken: Wo ist die Pose? Wo der Esprit? Wo der geheuchelt-verschämte Zensurbalken, der das gereckte Glied verdeckt und beim betrachter den meist ungewollten unterschwelligen Wunsch weckt, ihn wegzureißen?

Positiv anzumerken ist, dass die Konturen des Gemäldes im Gedächtnis verbleiben, auch wenn man den Blick schon längst abgewandt hat. In die Netzhaut eingebrannt bleiben zwei brennende Eier, die in ihrer Intensität nichts einbüßen, auch, nachdem man sich die Augen mit Seife gewaschen hat. Auf der Ebene des rein visuellen Impaktes also schießt das Bild noch über das Ziel hinaus.

Auch muss man bei aller Kritik auf ein liebevolles Detail hinweisen, welches dem Laien sonst entgehen mag. Achten sie einmal auf die linke untere Seite des Kunstwerkes. Sehen sie das Zucken? Es ist nicht sofort erkennbar, doch interpretiert man den Schattenriss auf der Tischplatte isometrisch, so wird nach längerer Betrachtung klar, dass sich der mittlere Nebenhoden keinesfalls im ruhigen Zustand befindet, sondern vielmehr in einem die Widersprüche dieser Welt ekstatisch ausdrückenden Zurückschnellen begriffen ist, mit welchem das Bild die eingangs erwähnten Mängel in der Kompoisition zumindest meiner bescheidenen Meinung nach mehr als wettmacht.

Es ist also wie so oft im Leben - man gibt etwas auf, und bekommt dafür ein Stück der Welt zurückgeschenkt.

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